Aktuelles
Der Besuch der Alten Dame“ – in Oberkochen
Die Notbremse kreischt, gelber Dampf steigt auf: Friedrich Dürrenmatts „Alte Dame“ ist gerade angekommen. Mit dem Sonderzug, wie es sich für eine Milliardärin gehört. Allerdings hält dieser Zug nicht am Bahnhof, sondern im Forum des Ernst-Abbe-Gymnasiums, wo Dürrenmatts Drama vergangene Woche zweimal vom Deutsch-Oberkurs inszeniert wurde.
Der Plot ist allgemein bekannt: Ein junges Mädchen namens Kläri Wäscher wird, weil unehelich schwanger, mit Schimpf und Schande aus dem Städtchen gejagt – und kehrt fünfzig Jahre später als schwerreiche Claire Zachanassian zurück, um Rache zu nehmen. Für die Oberstufenschüler wurde der Originaltext quantitativ, aber auch örtlich zurechtgeschnitten. Dürrenmatts Konradsweilerwald, wo Kläri einst ihren Alfred Ill liebte, mutiert zum Wolfertstal, der Empfang der berühmten Frau findet im (mangels Gästen geschlossenen) Vilotel statt. Die Firma Zeiss kommt natürlich auch vor, ist aber leider bankrott.
Wochenlang haben die Schüler dieses Endzeit-Oberkochen auf riesige Kulissenbilder gemalt. Und wachsen dann beim Spiel davor über sich hinaus. Polizist Hahncke (dargestellt von Simon Klopfer) bringt die Zuschauer in breitestem Schwäbisch zum Lachen – welches ihnen dann beim Auftritt der intriganten Bürgermeisterin (Katharina Wörz) im Halse steckenbleibt. Beängstigend intensiv wandelt sich Claires Jugendfreund Alfred Ill (Fynn Rouven Kaiser, am Folgetag: Maxim Steckeler) vom selbstgefälligen Bürgermeister- zum verzweifelten Todeskandidaten. Eiskalt spielt die alte Dame (Anastasia Lysenkova/Celina Hopfensitz) ihre Milliarden-Trümpfe aus und wechselt die Ehemänner VII – IX (alle dargestellt von Nathanael
Gerhard) im Stundentakt. Die doppelgesichtige Lehrerin (grandios: Elisabeth Weber) ertränkt zunächst ihr schlechtes Gewissen in Alkohol, peitscht dann aber die Gemeindeversammlung mit überwältigender Rhetorik zu Alfred Ills Hinrichtung auf. Als dieser dann, anonym niedergestreckt vom ganzen Deutschkurs, auf dem Boden des Forums liegt und die Zuschauer vom Gänsehaut – Feeling in die Wirklichkeit zurückfinden, bleibt nur ein Fazit: Gratulation an die Jahrgangsstufe 11 des EAG zu dieser denkwürdigen Aufführung.